Und wenn man die norwegische Grenze passiert, ist es, als ob man in das Haus eines ernsten, armen, sorgenvoll beschäftigten Menschen tritt, der sich über den Gast wundert und lange nicht glauben kann, dass sich der Gast darüber freut, auf Besuch in Norwegen zu sein. Mit einem kurzen Lächeln, wenig Worten und einer verlegenen Bewegung empfängt ein nowegischer Bauer den Gast, als ob er sich dafür entschuldigen möchte, dass sein Land derart karg, derart schweigsam und derart unzugänglich ist. Als ob er fra-gen möchte: Warum bist du hierher gekommen, wo in den Wänden unserer Steinhäuser Teufel wohnen, die Krallen sogar an den Knien und am Schwanz haben; was willst du hier, wo der Horizont Monat für Monat nur von einer unsichtbaren Sonne erwärmt wird?

Das Herz des Norwegers ist tief verborgen vor den Augen Neugieriger und dem Angebot der Freund-schaft; sein Land ist das Land der schwarzen Felsen und der stummen Wasser, ein Land ewigen Hungers nach Sonne und der Sehnsucht nach dem Menschen, nach einem Durchreisenden. Leblos, skelettartig und längst verstorben zeigen sich jene riesigen kristallinen Felswände, in denen kein Leben ist und die auch keines spenden, die mal phantastische, mal fürchterliche Terrassen riesiger Strukturen ohne Namen und ohne Ziel sind. Wohl aber stets würdevolle, stolze architektonische Formen. Von der anderen Seite be-trachtet, sind die zerfressenen und zernagten Teile des Rumpfes Norwegens, mit einer Unmenge an Inseln, Landengen, Riffen, Klippen, Gelenken, Fingern und Stümpfen die entblößten und auf die empfindliche Seite gewendeten Nerven dieser Erde, vom Wasser gereizte Nerven eines Landes, in dem man sagt, der Mensch ist so und so viele Winter alt, in dem man Kin-dern mit dem Popanz, der fünfzehn Winter bringen wird, Angst macht und in dem neun Monate im Jahr die bösen Götter der Finsternis und des Sturms herr-schen und nur drei Monate lang die gerechten Götter der Liebe und der Sonne. In seinen Verwicklungen und Entwirrungen ist der Norden dramatisch.

Das Leben Norwegens spielt sich komplett auf dem Felsen ab. Im Felsen eingeschrieben sind seine Eigenart und all sein Unglück. All seine Schönheit liegt in den Wassern. In den Wäldern seine Phantasie. An der zerklüfteten und blühenden Westküste reihen sich ungewöhnlich schöne und unheimlich verschwiegene Fjorde mit ihren Tälern aneinander. Verstreut liegen hier winzige Städte, die vom regen und raschen Leben der Seemänner und vom bunten Getöse der Häfen erfüllt sind. Im Landesinneren erdrücken die öden Schneefelder, Fjells¹ und Geröllhalden Land und Leute. Schwerfällig und unregelmäßig erheben sich die Kleinstädte auf diesen schicht- oder kegelförmigen, oft glasglatten Hügeln und Felsblöcken, die auf Schritt und Tritt aus der Erde hervorbrechen und sich schwer einebnen lassen.

Auch Oslo (früher Kristiana), die Hauptstadt Norwegens, liegt auf einem solchen Gelände. Deshalb ist hier alles wellig und uneben. Hier gibt es viele steil ansteigende Straßen, emporgehobene Häuser und etliche bizarre Bilder. Man geht durch die Straße und auf einmal raschelt ein Baum überm Kopf, man konnte es davor nicht ahnen, wird doch von der Straßenseite her die Felswand von einer Hecke verdeckt. Während man zu einem Bekannten direkt von der Straße aus ins Haus eintritt, ist das Haus des Nachbarn erst über sechzig Stufen zu erreichen. Wieder ein Stück weiter erhebt sich zwischen zwei Häusern ein Fels, der wie ein zerstörter Turm oder ein umgekipptes Schiff aussieht, aus dem in einer seltsamen, fast horizontalen Lage eine Platane gewachsen ist und den halben Weg versperrt. Die Kirchen befinden sich meistens auf Hügeln, und die Karl-Johann-Straße, benannt nach dem norwegischen König, führt wie eine großflächige Terrasse hinauf zum Königspalast, der von der waldigen Anhöhe aus den ganzen Stadtkern überblickt.